Ankunft: Dienstag 24. August 2010 9:00
Wir wurden um 7 h über den Lautsprecher mit einem freundlichen Morgengruß geweckt - in vier Sprachen. Nachdem die Mädels im Bad fertig waren genehmigte ich mir eine frische Dusche. Wenn man den Luxus schonmal hat... An Deck machte ich mich über meinen Lieblingskäse her. Lange hielt ich es aber an meinem Frühstückstischchen nicht aus, es gab viel zu viel zu gucken! Es war extrem windig. Je nachdem wie das Schiff stand konnte man an der Reling kaum atmen.
Die beiden Mädels, die mit mir die Kabine teilten, heißen Hanna und Simone und sind in etwa meinem Alter. Simone ist im Urlaub mit ihren Eltern und Hanna macht ebenfalls ein Auslandssemester. Sie hatte einen Rucksack und 2 Koffer dabei!!!
Schade, dass wir keine Kontakte ausgetauscht haben, sonst hätte man sich gemeinsam die neue Umgebung ansehen können. Aber ich dachte, dass ich es mir dann ganz schön einfach mache, wenn ich mich gleich an jemanden hänge, der meine Sprache spricht. Wäre ich mal nicht so streng mit mir gewesen... Jetzt sitz ich hier einsam und verheult.
Als wir in Göteborg anlegten, habe ich ganz lange die Vorgänge an der Anlegestelle beobachtet. So lange, dass meine Kabine schon offen war und das Personal dabei war aufzuräumen, als ich meine Tasche holte.
Richard schrieb mir kurz vorher noch, ob ich ihm Zigaretten mitbringen könne, aber auf meine Nachfrage sagte man mir, dass der zollfreie Verkauf schon vor 10 Jahren abgeschafft wurde. Da Richard nicht wie angekündigt am Infostand der Schifffahrtsgesellschaft anzutreffen war, ging ich nach draußen und rief ihn an. Er sagte er komme in 10 Minuten mit seinem Audi. Es war inzwischen 9:15. Ich sah 2 neue Audis auf den Parkplatz fahren, aber zu meiner Enttäuschung fuhr der eine weiter und der andere lud Cola Dosen aus. Ich wurde ein bisschen nervös. Ich hatte ja keine Ahnung auf wen ich da gerade warte.
Hanna hatte einen weiteren deutschen Auslandstudenten getroffen, der auch mit 3 Koffern reiste und mit dem sie zusammen zum Wohnheim ging. Sie beneideten mich, dass ich abgeholt werde; ich beneide sie nun, dass sie nicht alleine waren.
Richard kam mit einer ollen Klapperkiste von Audi - komisch, dass ich bei Audi automatisch an moderne schicke Autos denke...
Beim Einladen in den Kofferraum ging er so grob mit meiner Tasche um, dass ich glaubte gleich bricht der Griff ab. Er drückte mir eine fiese Ledermappe in die Hand, die ich kurz festhalten sollte. Ich saß im Auto erschrocken und verkrampft, wildeste Gedanken im Kopf herumschwirrend. Ich dachte daran, dass man ja nicht bei fremden Männern ins Auto steigen soll und so Sachen. Außerdem wollte ich diese schmuddelige Ledermappe, die noch auf meinem Schoß lag, loswerden. Ich malte mir aus, was er darin wohl mit sich rumschleppt.
Er erklärte mir, dass er eben zum ersten Mal wegen Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten wurde und deshalb so spät sei.
In der Wohnung zeigte er mir die Räume. Zu dem Zimmer, in dem ich grad rumliege, sagte er, das sei sein Zimmer und ich wunderte mich wo ich denn schlafen würde und fragte immer wieder nach meinem Zimmer und er verwies mich auf eben dieses. Ich dachte der er will mich verarschen. Bis er erklärte das es sein Zimmer
war und er demnächst auf berufsbedingte Reisen gehe und vorübergehend auf der Couch schläft.
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in dem hässlichen gelben Haus wohne ich jetzt,
in der 2. Etage |
Am Anfang findet man alles doof. Momentan gehts mir gut. Aber gestern, kann ich sagen, war echt ein Horrortag. Als ich heut morgen in den Spiegel schaute, sah ich in ein Gesicht mit 'nem Paar Augenringe und dicken Tränensäcken.
Der Typ ging mir nach wenigen Stunden schon auf die Nerven. Sein ganzes Gelaber "...it's very very silence here and the other girls are very very beautyful. It is the best flat here, only families and very very silence..." Und dabei zieht er das "e" von "very" gaaaanz lang. Er neigt zu Euphemismen und wiederholt sich ständig. Manche Dinge hat er mir bestimmt schon fünf mal erzählt. Er findet dann auch kein Ende. Labertasche. Vielleicht eine Mischung aus Senior und marokkanischen Mentalität. Ich weiß nicht wie alt er ist. Er hat zwei Töchter, eine davon ist 19 und einen 13jährigen Sohn. Er sieht aus wie Ende 50. Ach er könnte auch älter sein, aber vielleicht tu ich ihm unrecht.
Die beiden Chinesinnen Jenny (ihr übersetzter Name) und Ying sind total nett und hilfsbereit. Wir haben noch nicht viel gesprochen, vor allem weil ich gestern so durch war. Die beiden teilen sich das alte Zimmer von Richards Tochter. Sie haben mir den nahegelegenen Supermarkt gezeigt und ich habe ein paar Lebensmittel eingekauft. Ich wusste überhaupt nicht was ich holen sollte; hat mich ein bisschen überfordert. Ich hab dann mit einer Aubergine und Zwiebeln angefangen. Als ich Haferflocken und meine Lieblingscrunchiedinger entdeckte war mein Frühstück schonmal gesichert. Wobei ich immernoch bezweifelte je wieder Appetit zu bekommen. Nach dem Einkauf habe ich mein Müsli gemixt - danke, Mama, dass du die Torte doch noch in eine Box gepackt hast. Die konnte ich jetzt gut gebrauchen.
Und dann bin ich in die Innenstadt gefahren. Ying war so süß und hat mir die Tramlinien aufgeschrieben, die ich nehmen konnte. Außerdem durfte ich ihren Stadtplan haben. Mein erstes Ziel war die Schule für Design und Kunsthandwerk, wo am Montag das erste Willkommenstreffen stattfindet. Es ist ein schönes altes Gebäude. Die Stadt ist eh recht schön, viel grün, nur hatte ich gestern keinen Kopf dafür. Ich ging in ein Einkaufszentrum und kaufte mir gleich im ersten Laden einen Kissenbezug mit der Aufschrift: "Här sover min Dröm Prins". Das bedeutet
hier schläft mein Traumprinz. Der Laden war echt süß, eine Mischung aus der IKEA Kleinteileabteilung und HEMA. Ein Paradies für "Mädchen" wie mich.
Ich wanderte weiter umher, durch ein Parkgelände bis zum Chalmers Campus (die Technik Uni). Ich hatte mich gerade von meinem letzten Tränenausbruch erholt und war in meinen Reiseführer vertieft, als mich ein Student ansprach wie er zu Chalmers kommt. Ich zeigte erst in die falsche Richtung und gab ihm dann meinen Stadtplan. Mein Orientierungssinn ist echt zu Kotzen! Naja, als ich erzählte, dass ich nicht an Chalmers studiere sondern an der HDK. sagte er, ich sähe nicht aus wie ein Student und zupfte an meinem Regenmantel. Was sollte das denn?? Sah ich so lächerlich aus? Ich mag das Teil, hätte ich sagen sollen, aber in meiner momentanen sensiblen Verfassung führte seine Bemerkung nur zu meinem nächsten Verzweiflungsausbruch.
Ich irrte weiter, inzwischen mit Hunger. Ich wollte mich gemütlich irgendwo hinchillen, mein Buch lesen und ne Kleinigkeit essen. Hauptsache nicht zurück in die Wohnung zu dem schrecklichen Typ. Ich fand nix passendes. Das "Paprika" versprach zwar leckere Baguettes und Salate aber die Stühle und die große Fensterfassade luden nicht zum längeren Verweilen ein. Auch gegenüber Chalmers hätte ich mich momentan in dem Pub beobachtet gefühlt. Womöglich hätte man mich mit meinem "Twilight" Buch wieder belächelt. Ich wollte mich zurückziehen, verschwinden, unsichtbar sein und mich von niemandem anquatschen oder demütigen lassen. Ich landete schließlich in einer Imbissbude, von der ich im Reiseführer gelesen hatte und aß meine erste schwedische Spezialität. Ein Hotdog, wie man ihn bei IKEA bekommt und oben drauf Kartoffelpüree. Ich wollte gerade essen, da klingelte mein Handy und Richard war dran. Er wollte wissen wo ich bin und wann ich komme. Ich fühlte mich bevormundet, zumal ich vorher schon 2 SMS von ihm erhalten hatte, in denen er fragte wo ich bin. Er brauchte das Geld für die Miete bevor er nach Frankreich abreist. Das war's dann mit gemütlich essen und lange wegbleiben. Ich hatte eh genug. Außerdem ging es auf 20h zu und es hatte wieder angefangen zu regnen.
Zu Hause angekommen bestand ich darauf, dass wir seinen Schreibtisch und Computer, der momentan noch in meinem Schlafzimmer stand, noch heute Abend ins Wohnzimmer stellen. Erstens, damit ich meine Privatsphäre habe und mehr Platz. Die Aktion war eh geplant, aber ich wollte, dass es geschieht bevor er abreist. Richard ist ein bisschen chaotisch. Er wollte erst den kompletten Tisch mit PC und Monitor transportieren. Es stellte sich nach 2 Schritten raus, das es nicht funktionieren würde. Also alles runter vom Tisch - oh Gott! Ich hasse ja Kabelgewirr! In seiner Eile den wackeligen Tisch durch die Tür zu manövrieren löste sich die Platte und wär' mir vielleicht wieder auf den Fuß geknallt (das wird noch ein Running Gag mit dem Fuß). In der nächsten Fuhre nahm ich den Monitor und die Boxen und er den Tower mit dem Drucker und der Tastatur drauf. Das konnte nicht gut gehen. Wir haben es nicht mal bis zur Tür geschafft da knallte sein Drucker auf den Boden und riss, verursacht durch das Kabelgewirr (!), die Boxen gleich mit Runter. Wären Jenny und Ying nicht zu Hilfe geeilt - vermutlich durch den Krach aufmerksam geworden, hätte Richard den Drucker sicher hinter sich her geschliffen. Bei so einem Chaos kann man nur noch lachen und versuchen damit zu klar zu kommen. Tut mir vielleicht mal ganz gut, wenn nicht immer alles ordentlich und perfekt geregelt ist...
Im Eingang der Wohnung riecht es nach ätherischen Ölen oder scharfem Rasierwasser. Ich mag das nicht. Ich machte mein Bett zurecht und freute mich über meinen neuen Kissenbezug. Ich habe hier außer einem Laken und der Tagesdecke kein Bettzeug, was nicht weiter schlimm ist, da es momentan noch angenehm warm im Zimmer ist. Ich habe meinen Schlafsack zusätzlich ausgepackt und musste zum Bedauern feststellen, dass er nach Duftöl roch, welches dem von Richard nicht unähnlich ist und mich immer an diese schreckliche Wohnung erinnern wird. Welch Ironie des Schicksals! Dabei hat meine Mama mich extra noch gefragt, ob sie Duftstoffe mit in die Waschmaschine geben soll. Und ich dachte dabei, es sei ja schön, wenn mein Schlafsack nach zu Hause riecht. Ach Mami, das tut mir so leid.
Ich habe dann aber relativ gut geschlafen. Ein bisschen unruhig vielleicht. Immer mit dem Gedanken im Kopf, wie ich den nächsten Tag überstehen soll. Um halb 3 - oder war es halb 4? mitten in der Nacht jedenfalls - bin ich von Richard aufgewacht. Er hat die Angewohnheit sehr sehr früh aufzustehen und zu putzen oder zu arbeiten und joggen zu gehen. Dafür geht er aber, so erklärte er, zwischen 20 und 22h ins Bett und hält 1-2 Stunden Mittagsschlaf. Dafür, dass er so gerne putzt, musste ich in meinem Schränkchen aber ne Menge Staub wischen und die Gläser, die er ausräumte, als er ein Küchenfach für mich frei machte, waren ganz schön verklebt von unten...
Ich fragte ihn dann mitten in der Nacht noch nach dem 3. Schlüssel, der mir noch fehlte, weil ich ja dachte, dass er früh nach Frankreich abreist.